Mittwoch, 3. Dezember 2008
UNTER TAGE / LEUCHTEN
UNTER TAGE / LEUCHTEN ist der abschliessende Höhepunkt einer
Veranstaltungstrilogie am Museum Rietberg in Zürich, die sich dem
Schaffen und Wirken des bengalischen Dichters und Nobelpreisträgers
Rabindranath Tagore widmet. Anlässlich des 60. Jahrestages der schweizerisch-
indischen Freundschaftsverträge begibt sich das Zürcher Komponisten-Duo
melkbook auf eine Reise IM TREIBEIS BENGALENS und befasst sich mit
musikalischen, sprachlichen, bildlichen und tänzerischen Annäherungen
an den "göttlichen Lehrer", den Gurudev. Dieser Ehrentitel wurde Tagore
von Mahatma Gandhi verliehen, der wiederum seinen Beinamen "grosse Seele"
von Tagore erhielt.
Gemeinsam mit Gandhi stellt Tagore eine Vaterfigur des von der Kolonialherrschaft
befreiten modernen Indien dar - gemeinsam und auch als sein Antipode, denn während
Gandhi vor allem daran lag, das indische Selbst- und Nationalbewusstsein im Kampf
gegen die britische Bevormundung zu stärken, hat Tagore sich in erster Linie als
Universalist und Weltbürger verstanden, wenn auch mit einer starken Verwurzelung
in der heimatlichen Kultur: Er gilt als Begründer der bengalischen Literatur, und hat
sich zugleich in beinahe allen anderen Künsten Ausdrucksformen geschaffen:
Im Tanz, in der Malerei, im Schauspiel, im Gesang, in der Kostümgestaltung...
Er hat nahe seiner Heimatstadt Kalkutta eine alternative Schule und eine Universität
begründet und ist zugleich als eine Art kultureller und philosophischer Botschafter
unzählige Male um die halbe Welt gereist. Wenn auch Tagore in seiner Literatur
und seinen Vorträgen das indische Denken verwirklicht, so ist er doch zugleich ein
Vermittler zwischen den Welten, der eine ausgiebige europäische Bildung genossen
hat, Goethe als einen Verwandten im Geiste betrachtet, und beispielsweise in
Gesprächen mit Albert Einstein Gemeinsamkeiten zwischen westlichen
Naturwissenschaften und indischer Weltauffassung erörtert.
Die Künstler, die gemeinsam mit dem Duo melkbook zur Erforschung dieser
aussergewöhnlichen Persönlichkeit aufgebrochen sind, interessiert nicht zuletzt
das immense Echo, das Tagore im Europa der zwanziger Jahre hervorrief und
das selbst heute, in einer Zeit, da etwa Yoga und Ayurveda feste Bestandteile
der westlichen Zivilisation darstellen, erstaunen lässt.
(Man halte sich etwa die tausende zählende Menschenmenge vor Augen,
die 1930 in Berlin einen indischen Dichter über das Verhältnis von Bäumen
und Menschen reden hören will und wegen Überfüllung des Saales stundenlang
auf der Strasse verharrt, um den weisen Mann aus dem Morgenland zumindest
einmal zu erblicken.)
IM TREIBEIS BENGALENS möchte von einem heutigen europäischen Standpunkt
aus und in der aktuellen Sprache der beteiligten Künstler in eine Resonanz
zu jenem gewaltigen Glockenschlag treten, den Tagores Auftreten in Europa
dargestellt hat und die Bilder und Imaginationen, die er seinerzeit als Gastgeschenk
im Gepäck mit sich führte, mit unseren heutigen Augen betrachten und mit
unseren zeitgenössischen Ausdrucksmöglichkeiten spiegeln - und sich den
Fragen stellen, die der Dichter und seine Poesie aufwerfen.
Der Titel der gesamten Trilogie verweist in seiner Unbegreiflichkeit auf einen
Nicht-Ort und auf das nicht Begreifbare in der Lyrik Tagores, die Widersprüche,
die zwischen Gedanke und Empfindung auftauchen, und die bei aller Einfachheit
und natürlichen Schlichtheit der Bilder die magnetische Anziehung seiner Sprache
auszumachen scheinen.
Eine so vielschichtige Figur scheint sich in einer Veranstaltung - und sei sie
noch so interdisziplinär angelegt - kaum fassen zu lassen und so haben sich
die Künstler einen angemessenen Rahmen gesteckt: In Abständen von mehreren
Monaten, weitläufig wie die Dünung des weltumspannenden Ozeans wurde das
Museum Rietberg, das wie kaum ein anderer Ort dafür geeignet scheint, immer
wieder zum Schauplatz des Reflektierens und Assoziierens, des Fragens und
Hinterfragens, und zwar immer wieder in unterschiedlichen räumlichen und
jahreszeitlichen Situationen. War im winterlichen Januar in der grossbürgerlichen
Villa Wesendonck die Sprache Tagores, in deutscher und englischer Übersetzung
wie auch im bengalischen Original zu erleben, eingebettet in eine immateriell
durch die Räume schwebende und stürmende Skulptur aus den Klängen der
indischen Bambusflöte, der Bansoori, so gab es Anfang Juni ein Konzert in
sommerlich-meditativer Stimmung, dargeboten in der surreal anmutenden
Architektur des Smaragdes, umgeben von Wald, Vogelgesang und Gewittergrollen,
bei dem das Trio aus Sitar, elektrischen Bass und Klavier von unsichtbaren
Kinderstimmen mit Liedern Tagores ergänzt und verzaubert wurde.
Nun geht es zum Abschluss UNTER TAGE, dorthin, wo das Licht - für Tagore
Lebenselixier wie der Verweis auf höhere Wirklichkeiten - von Natur aus nicht
dringt und wo seine Bedeutung für das Leben auf der Erde umso klarer erscheint.
Den Menschen zieht die schwarzstaubige Steinkohle wie der funkelnde Diamant
gleichermassen ins Unterirdische; und wenn zwei Tänzer und zwei Musiker sich
in den offenen Raum der riesigen Ausstellungshalle begeben, in der die
RAMAYANA-Ausstellung soeben endete und die SHIVA-Ausstellung noch nicht
begonnen hat, so darf man gespannt sein auf ein bild- und assoziationsreiches
Panorama aus Klang und Bewegung - und den Projektionen, die von einer
Licht- und Videokünstlerin in die Weite des Raumes gegossen werden.
Das Erdreich ist auch der Ort der Wurzeln, und wenn die Bäume und ihr Holz,
ihr Leben und ihre Vergänglichkeit sich bislang als ein Seitenthema durch die
Triogie gezogen haben, so sind wir nun zu Gast in den tiefen Ursprungsregionen
der Bäume des Rieterparks. Und schliesslich geht es um das Wechselspiel zwischen
zyklischer und linearer Wirklichkeit, die ewige Wiederkehr der grossen kosmischen
Kreisläufe und das dramatische Empfinden, das Medium und Fluidum
der darstellenden Künste...
Veranstaltungstrilogie am Museum Rietberg in Zürich, die sich dem
Schaffen und Wirken des bengalischen Dichters und Nobelpreisträgers
Rabindranath Tagore widmet. Anlässlich des 60. Jahrestages der schweizerisch-
indischen Freundschaftsverträge begibt sich das Zürcher Komponisten-Duo
melkbook auf eine Reise IM TREIBEIS BENGALENS und befasst sich mit
musikalischen, sprachlichen, bildlichen und tänzerischen Annäherungen
an den "göttlichen Lehrer", den Gurudev. Dieser Ehrentitel wurde Tagore
von Mahatma Gandhi verliehen, der wiederum seinen Beinamen "grosse Seele"
von Tagore erhielt.
Gemeinsam mit Gandhi stellt Tagore eine Vaterfigur des von der Kolonialherrschaft
befreiten modernen Indien dar - gemeinsam und auch als sein Antipode, denn während
Gandhi vor allem daran lag, das indische Selbst- und Nationalbewusstsein im Kampf
gegen die britische Bevormundung zu stärken, hat Tagore sich in erster Linie als
Universalist und Weltbürger verstanden, wenn auch mit einer starken Verwurzelung
in der heimatlichen Kultur: Er gilt als Begründer der bengalischen Literatur, und hat
sich zugleich in beinahe allen anderen Künsten Ausdrucksformen geschaffen:
Im Tanz, in der Malerei, im Schauspiel, im Gesang, in der Kostümgestaltung...
Er hat nahe seiner Heimatstadt Kalkutta eine alternative Schule und eine Universität
begründet und ist zugleich als eine Art kultureller und philosophischer Botschafter
unzählige Male um die halbe Welt gereist. Wenn auch Tagore in seiner Literatur
und seinen Vorträgen das indische Denken verwirklicht, so ist er doch zugleich ein
Vermittler zwischen den Welten, der eine ausgiebige europäische Bildung genossen
hat, Goethe als einen Verwandten im Geiste betrachtet, und beispielsweise in
Gesprächen mit Albert Einstein Gemeinsamkeiten zwischen westlichen
Naturwissenschaften und indischer Weltauffassung erörtert.
Die Künstler, die gemeinsam mit dem Duo melkbook zur Erforschung dieser
aussergewöhnlichen Persönlichkeit aufgebrochen sind, interessiert nicht zuletzt
das immense Echo, das Tagore im Europa der zwanziger Jahre hervorrief und
das selbst heute, in einer Zeit, da etwa Yoga und Ayurveda feste Bestandteile
der westlichen Zivilisation darstellen, erstaunen lässt.
(Man halte sich etwa die tausende zählende Menschenmenge vor Augen,
die 1930 in Berlin einen indischen Dichter über das Verhältnis von Bäumen
und Menschen reden hören will und wegen Überfüllung des Saales stundenlang
auf der Strasse verharrt, um den weisen Mann aus dem Morgenland zumindest
einmal zu erblicken.)
IM TREIBEIS BENGALENS möchte von einem heutigen europäischen Standpunkt
aus und in der aktuellen Sprache der beteiligten Künstler in eine Resonanz
zu jenem gewaltigen Glockenschlag treten, den Tagores Auftreten in Europa
dargestellt hat und die Bilder und Imaginationen, die er seinerzeit als Gastgeschenk
im Gepäck mit sich führte, mit unseren heutigen Augen betrachten und mit
unseren zeitgenössischen Ausdrucksmöglichkeiten spiegeln - und sich den
Fragen stellen, die der Dichter und seine Poesie aufwerfen.
Der Titel der gesamten Trilogie verweist in seiner Unbegreiflichkeit auf einen
Nicht-Ort und auf das nicht Begreifbare in der Lyrik Tagores, die Widersprüche,
die zwischen Gedanke und Empfindung auftauchen, und die bei aller Einfachheit
und natürlichen Schlichtheit der Bilder die magnetische Anziehung seiner Sprache
auszumachen scheinen.
Eine so vielschichtige Figur scheint sich in einer Veranstaltung - und sei sie
noch so interdisziplinär angelegt - kaum fassen zu lassen und so haben sich
die Künstler einen angemessenen Rahmen gesteckt: In Abständen von mehreren
Monaten, weitläufig wie die Dünung des weltumspannenden Ozeans wurde das
Museum Rietberg, das wie kaum ein anderer Ort dafür geeignet scheint, immer
wieder zum Schauplatz des Reflektierens und Assoziierens, des Fragens und
Hinterfragens, und zwar immer wieder in unterschiedlichen räumlichen und
jahreszeitlichen Situationen. War im winterlichen Januar in der grossbürgerlichen
Villa Wesendonck die Sprache Tagores, in deutscher und englischer Übersetzung
wie auch im bengalischen Original zu erleben, eingebettet in eine immateriell
durch die Räume schwebende und stürmende Skulptur aus den Klängen der
indischen Bambusflöte, der Bansoori, so gab es Anfang Juni ein Konzert in
sommerlich-meditativer Stimmung, dargeboten in der surreal anmutenden
Architektur des Smaragdes, umgeben von Wald, Vogelgesang und Gewittergrollen,
bei dem das Trio aus Sitar, elektrischen Bass und Klavier von unsichtbaren
Kinderstimmen mit Liedern Tagores ergänzt und verzaubert wurde.
Nun geht es zum Abschluss UNTER TAGE, dorthin, wo das Licht - für Tagore
Lebenselixier wie der Verweis auf höhere Wirklichkeiten - von Natur aus nicht
dringt und wo seine Bedeutung für das Leben auf der Erde umso klarer erscheint.
Den Menschen zieht die schwarzstaubige Steinkohle wie der funkelnde Diamant
gleichermassen ins Unterirdische; und wenn zwei Tänzer und zwei Musiker sich
in den offenen Raum der riesigen Ausstellungshalle begeben, in der die
RAMAYANA-Ausstellung soeben endete und die SHIVA-Ausstellung noch nicht
begonnen hat, so darf man gespannt sein auf ein bild- und assoziationsreiches
Panorama aus Klang und Bewegung - und den Projektionen, die von einer
Licht- und Videokünstlerin in die Weite des Raumes gegossen werden.
Das Erdreich ist auch der Ort der Wurzeln, und wenn die Bäume und ihr Holz,
ihr Leben und ihre Vergänglichkeit sich bislang als ein Seitenthema durch die
Triogie gezogen haben, so sind wir nun zu Gast in den tiefen Ursprungsregionen
der Bäume des Rieterparks. Und schliesslich geht es um das Wechselspiel zwischen
zyklischer und linearer Wirklichkeit, die ewige Wiederkehr der grossen kosmischen
Kreisläufe und das dramatische Empfinden, das Medium und Fluidum
der darstellenden Künste...
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